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08.08.2018

Landtagswahl 2018 - was sagen die Parteien zu unseren Themen?

Am 14. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Wir haben die Parteien zum Interview gebeten und sie mit Themen konfrontiert, die für uns Physiotherapeuten aktuell relevant sind. Die Antworten veröffentlichen wir nach und nach hier auf unserer Homepage.

Heute: Ruth Waldmann (SPD), Vorsitzende des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in Bayern.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass das Schulgeld für die physiotherapeutische Ausbildung abgeschafft wird. Leider konnten wir – anders als beispielsweise bei der Altenpflege – bei unseren Gesprächen mit dem bayerischen Kultusministerium bisher keine konkrete Unterstützung für dieses Bestreben erkennen. Welche Maßnahmen werden Sie und Ihre Partei ergreifen, um dieses Vorhaben möglichst zeitnah auch in Bayern umzusetzen?

Das halte ich für eines der vordringlichsten Themen, das wir schnell anpacken müssen. Meine Kollegin aus dem Gesundheitsausschuss, Kathi Petersen von der SPD, hat eine Anfrage an die Bayerische Staatsregierung gerichtet, die jetzt Ende April beantwortet wurde. Darin wurde von der Ministerin gesagt, man würde sich in Berlin an dem Prozess beteiligen, der in Richtung Schulgeldfreiheit führen soll. Ich finde, dass man da durchaus schneller vorangehen könnte. Es ist durchaus möglich, jetzt schon in Bayern voran zu gehen und zu sagen „wir schaffen hier schon mal ab, und wenn die in Berlin dann auch so weit sind, dann ist das wunderbar, dann haben wir die gleichen Bedingungen überall“. Ich erlebe die bayerische Staatsregierung hier bei anderen Themen deutlich selbstbewusster, was die Möglichkeiten des eigenen Handelns angeht und nicht erst abwartend, was in Berlin passiert bis die nächste Arbeitsgruppensitzung getagt hat. Aber am Geld kann es offenbar nicht scheitern. Wir haben an den vielen überraschenden Vorschlägen des neuen Ministerpräsidenten gesehen, dass offenbar viel Geld da ist, das vorher nicht da war. Das Landesamt mit 350 Mitarbeitern, von dem keiner weiß, wofür das eigentlich gut sein soll. Wir haben dieses Landespflegegeld, das aber mit Pflege gar nichts zu tun hat sondern in erster Linie der Imagepflege der bayerischen Staatsregierung dienen soll. Und dafür sind 400 Mio. Euro offenbar übrig. Es ist einfach ungerecht, dass bei diesem wichtigen Thema nach wie vor teilweise hohes Schulgeld erhoben wird.
Wir wissen ja aus dem Thema Altenpflege, wie wichtig es war, dass Schulgeldfreiheit geschaffen wurde. Da ist die Transferleistung zu den anderen Heilberufen eigentlich nicht so weit.

In der Physiotherapie macht sich seit einigen Jahren ein massiver Fachkräftemangel bemerkbar, der sich zunehmend weiter anspannt. Patienten müssen oft wochenlang auf einen Behandlungstermin warten. Laut der aktuellen Fachkräfteanalyse der Bundesagentur für Arbeit dauert es durchschnittlich 151 Tage, bis ein Praxisbesitzer eine freie Stelle neu besetzen kann, damit zählt die Physiotherapie zu den sogenannten Mangelberufen. Wie wollen Sie und Ihre Partei diesem Missstand entgegentreten?

Man muss dieses Thema in mehreren Schritten und ihn mehreren Schichten angehen. Ein Thema ist sicher, wie wir die Zulassung von Praxen überarbeiten können, wie kann man das lebensnäher, wohnortnäher usw.  gestalten. Und da muss man sicher auch mit der GKV reden. Aber das wichtige, das zentrale, ist sicherlich: Wo bekommen wir die Leute her. Und da ist das A und O natürlich, den Beruf interessant und attraktiv zu machen – attraktiver als er bisher ist. Physiotherapie ist ja ein toller Beruf. Aber offensichtlich zögern viele, sich auf diesen Beruf als Lebensweg einzulassen. Und das hat ganz klar natürlich in allererster Linie mit der Bezahlung zu tun. Es ist eigentlich nicht mehr nachvollziehbar, wie die Entgelte mit dem, was da geleistet wird, auseinanderklaff en. Da müssen wir dringend nacharbeiten. Es gibt verschiedene Formen, als Physiotherapeut tätig zu sein. Ich kann mich im Krankenhaus anstellen lassen, ich kann mich in einer Praxis anstellen lassen. Ich habe auch jemanden auf der Maximilianstr. kennengelernt mit hohen Entgelten. Da sitzen aber dann auch Leute, die gerne bereit sind, das zu bezahlen. Also es gibt ganz unterschiedliche Modelle, das zu machen, aber wenn wir wirklich zu einer flächendeckenden Versorgung in Bayern kommen wollen, müssen wir da vergleichbare Bedingungen, vergleichbare Entgelte hinbekommen, und die sind da natürlich zu gering.

Auf internationaler Ebene ist eine akademische Ausbildung für Physiotherapeuten Standard. Auch hier in Deutschland empfiehlt der Wissenschaftsrat einen Akademikeranteil von 10 – 20 Prozent unter den Berufsangehörigen. Trotzdem gehen die Entwicklungen in diesem Bereich äußerst schleppend voran. Es stehen bei weitem nicht ausreichend Studienplätze zur Verfügung. Seit 2009 gibt es eine Modellklausel, deren Erprobungszeitraum allerdings erst 2021 enden soll. Was wollen Sie und Ihre Partei unternehmen, damit Deutschland in dieser Frage den Anschluss wieder findet?

Ich denke schon, dass wir eine Akademisierung, z. B. in Teieln, brauchen – auch, um den Beruf aufzuwerten und den Anschluss an die anderen Berufe, also die Ärzte usw., auch zu bekommen. Der lange Erprobungszeitraum von 2009 bis 2021 erscheint mir ehrlich gesagt ungewöhnlich. Ohne nähere Einblicke in diesen Prozess zu haben drängt sich natürlich der Eindruck auf, dass man innerhalb von 10 Jahre durchaus Eindrücke hätte gewinnen können wenn man denn auch gründlich genug danach gesucht und systematisch ausgewertet hätte. Das riecht doch mehr danach, dass es mehr Zeit für eine Entscheidung und nicht für eine Erkenntnis gebraucht hat. Aber gut, jetzt ist das so entschieden. Ich meine, dass wir da mehr Plätze brauchen, Studienplätze anbieten können müssen. Das heißt natürlich auch, dass wir mit den Hochschulen reden müssen. Klar muss nicht jeder Akademiker sein, der diesen Beruf ergreift. Aber gerade für die Anschlussfähigkeit – und da kommen wir ja gleich sicher noch mal auf das Thema Verordnung und Verschreibung, das halte ich nämlich noch für einen wichtigen Knackpunkt – halte ich das für eine zentrale Voraussetzung.

Es wird oft und gerne davon gesprochen, die Gesundheitsfachberufe aufwerten und stärken zu wollen. Die Stärkung der Selbstverwaltung durch die Schaffung einer Physiotherapeutenkammer wäre hier ein naheliegender Ansatz. Wie stehen Sie und Ihre Partei zu diesem Thema?

Da ist mir Ihre eigene Einschätzung sehr wichtig. Ich gehe da jetzt mal an das Beispiel, was wir gerade haben, damit wir sozusagen am „lebenden Objekt“ sehen können, wie eine solche Diskussion laufen kann und mit welchen Entwicklungen. Für eine Kammer spricht, dass man eine starke Vertretung, eine klarere Zuständigkeit hat und es natürlich deswegen eine starke Stimme ist, weil es eine Pflichtmitgliedschaft gibt und man deswegen auch alle in diesem Beruf vertritt. Dagegen spräche, so war es zumindest bei der Altenpflege: Pflichtmitgliedschaft ist nicht jedermanns Sache, es müssen ja dann auch Beiträge gezahlt werden und nicht alles ist in dem uralten Kammersystem so ideal, dass man es jetzt nur auch machen müsste und dann wird alles gut. Da gäbe es ja durchaus Chancen, etwas zu reformieren, etwas neuer, etwas moderner zu machen als im althergebrachten Kammernsystem.  Aber wenn man sich jetzt anschaut: Es gibt seit Oktober vergangenen Jahres, also ein bisschen länger als ein halbes Jahr jetzt, diese Vereinigung einer Pflege anstatt einer Pflegekammer. Und bislang tut sich da überhaupt nichts. Die werden nicht ernst genommen, es gibt keine starke Stimme, es gibt keine starke Vertretung. Bei den vielfältigen wundersamen Ankündigungen des neuen Ministerpräsidenten hat er sich ja nicht in irgendeiner Form darum geschert, vorher mal Kontakt aufzunehmen und Gespräche über Bedarfe und Entwicklungen mit den Betroffenen in der Pflege zu führen. Sondern die wurden natürlich links liegen gelassen. Und die, die da mittun, haben das halt halbherzig irgendwie begrüßt ohne sich im Detail mit den Vorschlägen und ihren Auswirkungen tatsächlich befasst zu haben. Also sprich: Die werden nicht ernst genommen und auch nicht beteiligt, in keiner Phase des Prozesses. Und angesichts dieser Beobachtung in einem parallelen Feld, das aber zum Teil ganz ähnliche Bedarfslagen hat, spricht aus meiner Sicht sehr viel für eine Kammer, weil man eine richtig kräftige Stimme dann hat , wenn man sagen kann „wir vertreten hier auch alle“.
Ich würde eine Kammer für den richtigen Schritt halten, auch übrigens vor dem Hintergrund beispielsweise von Fremdbesitzern und Investoren: Auch da sind die Heilmittelerbringer gut beraten, zusammenzustehen und die Eckpunkte, wenn man sie selber definieren will und da gehört werden will, zu stecken. So etwas geht sicher nur gemeinsam, da darf man sich nicht auseinander dividieren lassen.

Aktuell soll die sogenannte Blankoverordnung in Modellprojekten getestet werden. Dabei geht es darum, dass der Arzt zwar das Heilmittel Physiotherapie verschreibt, der Therapeut dann aber selbstständig über die Auswahl und Dauer der Therapie entscheidet. Auch hier ist uns das Ausland schon weit voraus: In den Niederlanden und den skandinavischen Ländern beispielsweise können Patienten direkt, ohne vorher einen Arzt zu konsultieren, einen Physiotherapeuten aufsuchen. Wie stehen Sie und Ihre Partei dazu, Physiotherapeuten mehr berufliche Autonomie zuzugestehen?

Erst mal muss man sagen: Das sind zwei Paar Schuhe. Also erst mal haben wir die Blankoverordnung. Das halte ich für dringend notwendig. Es kann ja auch weiterhin eine konkrete Verordnung durch den Arzt geben, wenn das denn fachlich klar ist und sich inhaltlich so aus der Diagnose ergibt. Aber viel zu oft erleben wir, dass der Arzt eben es nicht so genau weiß und dann 10 x Lymph und 10 x Manuelle Therapie hinschreibt und der arme Heilmittelerbringer gucken muss, wie er das in der Abrechnung, ohne zu mogeln, möglichst unterbringt. Das ist keine sinnvolle Sache. Das hängt manchmal auch davon ab, ob der Arzt irgendjemanden kennt, der einer bestimmten beruflichen Fachrichtung zuzuordnen ist, ob es ein Chiropraktiker, oder Osteopath oder sonst etwas ist, weil er mir irgendjemandem schon mal gute Erfahrungen gemacht hat. Das alles ist nicht systematisch. Da wissen die Erbringer tatsächlich besser, was nötig wäre und in welchem Umfang und wie lange. Dem würde ich gerne Vorschub leisten, eine Blankoverordnung halte ich für wichtig und richtig. Und ja, es gibt jetzt diese Modellprojekte. Aber so lange braucht man da, glaube ich, gar nicht mehr testen, weil nach meiner Erwartung die Ergebnisse relativ rasch und deutlich sichtbar sein werden.  Da müssen wir einfacher werden. Man muss dann auch schauen, dass wir das mit der Verordnungssoftware in den Krankenhäusern und in den Arztpraxen synchron machen, dass dann nicht mehr aus Versehen auch falsch ausgefüllte Verordnungen zu weniger Behandlung oder Falschbehandlung oder was auch immer führen. Oder eben den Erbringer in Bedrängnis bringen, vielleicht etwas anderes zu erbringen, als er dann abrechnet. Das ist unmöglich, das ist eine Zumutung. Deshalb würde ich eine Blankoverordnung für ganz dringend erachten.
Der Direktzugang. Den wünschen sich, glaube ich, viele Menschen, betroffenen Patienten usw. und ich habe diesen Wunsch selber auch schon dringend verspürt. Deswegen sehr nachvollziehbar und deswegen auch ein wichtiges und richtiges Thema auf der Agenda. Aber es stellen sich natürlich auch die Ihnen sicherlich bekannten Fragen der Verantwortung. Was passiert z. B., wenn eine Diagnose nicht eindeutig gestellt werden kann oder falsch gestellt wird. Es ist einfach manchmal so, dass irgendetwas im Bewegungsapparat zwickt, was aber mit einer internistischen Erkrankung oder vielleicht sogar mit einem Krebsgeschehen o. ä. zusammenhängen könnte, was man jetzt einfach so erst mal nicht erkennen kann. Da besteht eine Gefahr, nicht nur was die Haftung angeht, sondern natürlich auch in erster Linie die Sicherheit des Patienten. Ich habe auch schon mit Physiotherapeuten gesprochen die gesagt haben, ihnen wäre ein Direktzugang nicht so recht, sie seien froh, wenn die  Diagnose erst mal gestellt ist – sei es nun ein Orthopäde oder Allgemeinarzt oder was auch immer  - und sie sich auf bestimmte Dinge verlassen können und sie sich auch besser trauen können, da beherzt zuzugreifen und ihre Therapie anzuwenden. Das Thema  halte ich nicht für zu Ende und ausdiskutiert, selbst in der Kollegenschaft der Heilmittelerbringer. Deshalb muss man es natürlich erproben, denn es gibt auf der anderen Seite viele Fälle, wo das naheliegend ist. Z. B. bei jemandem mit wiederkehrenden Leiden, den der Physiotherapeut vielleicht auch schon kennt, z. B. die Frau Maier mit ihrem Rückenschmerz, die da auch schon lange in Behandlung ist, wo man vielleicht nicht immer den Weg über eine erneute Diagnose in der Arztpraxis gehen müsste. Da den richtigen Weg zu finden ist eine echte Aufgabe. Ich sehe den Bedarf, das müssen wir machen, aber mit einem Federstrich ist es nicht getan und das wäre mir dann auch tatsächlich im Sinne der Patientensicherheit zu gefährlich. Gleichzeitig finde ich es aber auch sehr wichtig, das Wissen der Heilmittelerbringer in der Ausbildung der Ärzteschaft besser zu verankern.

Vielen Dank für Ihre Stellungnahme!

In unserer Serie bereits erschienen sind die Antworten der FDP, der Freien Wähler, der AfD, von Bündnis 90/Die Grünen, der CSU sowie von DIE LINKE.

Wer sich eingehender mit den Forderungen und Zielen der einzelnen Parteien auseinandersetzen will, sollte sich deren Wahlprogramme ansehen.