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12.07.2019

Vergütungssituation unbefriedigend, Fachkräftemangel ungebrochen: Physiotherapeutische Berufsverbände veröffentlichen erstes gemeinsames Wirtschaftlichkeits-Gutachten

Die Ergebnisse der ersten gemeinsamen Wirtschaftlichkeits-Analyse der drei Berufsverbände PHYSIO-DEUTSCHLAND, VPT und IFK wurden am 10. Juli in Nürnberg präsentiert. Praxisbesitzer aus ganz Deutschland haben ihre Daten für die Erhebung „PhysioPraX 2.0“ zur Verfügung gestellt, auf deren Grundlage das Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) unter Leitung von Prof. Dr. Günter Neubauer nun ein betriebswirtschaftliches Gutachten zur Situation physiotherapeutischer Praxen erstellt hat. Die Analyse unterstreicht die nach wie vor unbefriedigende wirtschaftliche Situation, den hohen, unbezahlten Verwaltungsaufwand sowie das konkrete Ausmaß des Fachkräftemangels.

Wirtschaftliche Situation unbefriedigend

Mit einem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von ca. € 14,- finden sich angestellte Therapeuten in den Praxen trotz anspruchsvoller Ausbildung weit unten in der Gehaltskette wieder. Bedenkt man gleichzeitig, dass viele Physiotherapeuten aufgrund des hohen Schulgeldes und der kostspieligen Weiterbildungen mit Schulden ins Berufsleben starten, wirkt die wirtschaftliche Situation noch prekärer. Eine höhere Entlohnung ist aber nicht darstellbar vor dem Hintergrund, dass selbst die Praxisinhaber im Durchschnitt lediglich auf ein verfügbares Monatseinkommen von € 2.575,- zurückgreifen können. Dieses fällt im Vergleich mit einem im TVöD angestellten Therapeuten mit vergleichbarem Verantwortungsbereich deutlich geringer aus.

Unbezahlter Verwaltungsaufwand enorm

Mit ein Grund für das vergleichsweise geringe Einkommen eines Praxisbesitzers ist der hohe Verwaltungsaufwand, der zum größten Teil im Namen der Kostenträger erfolgt (beispielsweise die Erhebung der Zuzahlungen), bei der Vergütung aber nach wie vor unberücksichtigt bleibt. Für gesetzlich versicherte Patienten veranschlagen Praxen durchschnittlich 40 Stunden/Woche reinen Verwaltungsaufwand, der von Therapeuten und Praxisbesitzern zusätzlich zu den Therapieleistungen erbracht werden muss. Davon entfallen ca. 10 Stunden auf den Praxisinhaber – die daraus resultierenden Opportunitätskosten (entgangener Reinertrag durch entgangene Patientenbehandlungen) belaufen sich hier allein schon auf € 315,- pro Woche.

Fachkräftemangel überdeutlich

Ein weiteres Problemfeld, das auch Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit einer Praxis hat, ist der Fachkräftemangel. Ca. 60 Prozent aller teilnehmenden Praxen gaben an, ungedeckten Personalaufwand zu haben. Im Durchschnitt fehlt es pro Praxis an Personal für rund 26 Wochenarbeitsstunden – ein Defizit, das sich auch auf der Einnahmen-Seite bemerkbar macht.

Patient im Mittelpunkt

Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation stehen für physiotherapeutische Praxen offensichtlich Patient und Behandlungsqualität im Vordergrund: Im Durchschnitt wird bei einer möglichen Taktung von 15 – 25 Minuten rund 23 Minuten am Patienten gearbeitet (KG Einzelbehandlung). Um die Patienten bestmöglich behandeln zu können wird außerdem in Fortbildungen investiert: Durchschnittlich fallen 42 Arbeitstage pro Praxis dafür an.

Verhandlungsgrundlage und individueller Vergleich

Zur Präsentation des Gutachtens waren Mitglieder der drei initiierenden Berufsverbände aus ganz Deutschland angereist. Die Verbandsvertreter Markus Norys (PHYSIO-DEUTSCHLAND), Hans Ortmann (VPT) und Ute Repschläger (IFK) bedankten sich ausdrücklich bei allen Teilnehmern für das zur Verfügung stellen ihrer Daten und wiesen deutlich auf deren Bedeutung in Hinblick auf die anstehenden bundesweiten Verhandlungen hin, bei denen auch die Entwicklung der Sach- und Personalkosten sowie die durchschnittlichen Kosten eines Praxisbetriebs eine Rolle spielen werden. Markus Norys betonte darüber hinaus den zusätzlichen Nutzen der PhysioPraX-Umfrage, der sich für jeden Teilnehmer individuell ergibt: Jeder, der seine Daten über das eigens zu diesen Zwecken programmierte Portal www.bwa-physioprax.de/2.0 zur Verfügung gestellt hat, kann seine eigenen Werte nun mit den entsprechenden Durchschnittswerten von Praxen ähnlicher Größe vergleichen. So kann man beispielsweise auf einen Blick erkennen, wo man sich mit dem eigenen Arbeitstakt im Vergleich zu anderen Praxen befindet, ob man mehr oder weniger als der Durchschnitt in Raum- oder Personalkosten investiert oder ob die Kollegen ähnlich viel Zeit in die Verwaltung investieren wie man selbst.  

Über PhysioPraX 2.0

Mit dem Projekt PhysioPraX 2.0 verfolgen die drei größten physiotherapeutischen Berufsverbände in Deutschland, PHYSIO-DEUTSCHLAND, VPT und IFK, gemeinsam das Ziel, eine objektive Datengrundlage zu erhalten: Welche Aufwendungen müssen Praxen leisten, wie verteilen sich diese, wie entwickeln sich Verwaltungsaufwand und Vergütung über eine längeren Zeitraum etc.

Das Projekt PhysioPraX wurde ursprünglich 2008 von PHYSIO-DEUTSCHLAND, Landesverband Bayern, ins Leben gerufen und seither kontinuierlich optimiert und ausgeweitet. Nachdem der VPT sich bereits 2016 dem Projekt angeschlossen hatte, wurde darüber hinaus 2018 zusätzlich die bisher vom IFK durchgeführte Wirtschaftlichkeitsumfrage mit PhysioPraX zusammengeführt – so entstand PhysioPraX 2.0. Das aktuelle Gutachten wertet betriebswirtschaftliche Daten aus dem Jahr 2016 aus.

Die Analyse stellt den teilnehmenden Praxen einerseits Orientierungs- und Vergleichswerte für eine wirtschaftliche Praxisführung zur Verfügung. Andererseits liefern die anonymisierten Daten den Verbänden valides Datenmaterial, das als Grundlage für die Vertragsverhandlungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen dient.

Wissenschaftlich betreut und ausgewertet wird die Analyse auf neutraler Basis durch das Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) unter Leitung von Prof. Dr. Günter Neubauer.

Weitere Infos zum Projekt unter www.bwa-physioprax.de/2.0