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18.12.2024

Liebe Mitglieder, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, dann steht eine Sache für mich ganz besonders im Fokus: Endlich – endlich! ist es uns gelungen, die Blankoverordnung in der Regelversorgung zu implementieren. Es war ein zäher Kampf, der sich alleine in der letzten Phase, in der wir nur noch über die konkrete Ausgestaltung verhandelt haben, über 3 Jahre und 30 Verhandlungsrunden mit dem GKV-Spitzenverband zog. Wenn ich jetzt, wo Patienten und Patientinnen mit einer Blankoverordnung in der Hand tatsächlich vor mir stehen, zurückblicke, ist das alles schon fast nicht mehr wahr. Deshalb habe ich Ihnen in diesem Jahr eine kleine Weihnachtsgeschichte dazu geschrieben – damit ich, damit wir alle nicht vergessen, wie lang und hart ein berufspolitischer Weg manchmal sein kann, dass es sich lohnt zu kämpfen und – natürlich – dass die Guten am Schluss gewinnen 😊

Weihnachtsgeschichte zur Blankoverordnung

Wir schreiben das Jahr 2017. Der Gesundheitsminister Hermann Gröhe hatte ein Gesetz erlassen, das es Physiotherapie-Verbänden und Krankenkassen ermöglichen sollte, ein Modellvorhaben durchzuführen. Er wollte wissen, ob es sinnvoll ist, die Blankoverordnung in die gesetzliche Versorgung aufzunehmen. Die Verbände freuten sich sehr darüber, denn sie wollten die Versorgung mit Physiotherapie unbedingt modernisieren. Die Kassen jedoch waren müde und so ging erst mal Zeit ins Land… Von Monat zu Monat wurden die Verbände ärgerlicher, vor allem der Regionalverband Bayern von Physio Deutschland klopfte an viele Türen und sprach mit vielen Menschen. Und eines schönen Tages konnten dann doch Modellvorhaben durchgeführt werden. Eifrig ging man an die Planung, weise Menschen von der Ludwig-Maximilians-Universität München wurden gebeten, sich ganz genau zu überlegen, wie man denn messen könne, ob die Blankoverordnung gut für die Menschen ist oder nicht. Und als man so mitten in der Planung war, kam eines Tages ein neuer Gesundheitsminister an die Macht. Sein Name war Jens Spahn und er verstand sehr gut, was Physiotherapie leisten kann. Deshalb erließ er ein neues Gesetz: Die Blankoverordnung wurde zur Regelversorgung gemacht und die Modellphase damit hinfällig.

In Bayern war man zunächst ein bisschen traurig, denn man hatte sich schon sehr viele Gedanken gemacht und wollte die inhaltliche und wissenschaftliche Arbeit gerne fortführen. Aber schnell verstanden die Verbände, dass man mit dem neuen Gesetz auch sehr viel Zeit und Geld sparen konnte und wollten sogleich mit der Blankoverordnung loslegen.

Das mit dem Loslegen war aber gar nicht so einfach. Viele Tage und Nächte vergingen, bis die Physiotherapieverbände sich einig waren, wie sie das mit der Blankoverordnung angehen wollten.

… und hier, liebe Mitglieder, erzähle ich Ihnen gerne aus der Ich-Perspektive weiter. Denn was dann folgte, habe ich als Sprecher der Verhandlungskommission von Physio Deutschland in jedem einzelnen Schritt miterlebt. Das allererste Treffen zur Blankoverordnung in Berlin fand im Oktober 2021 statt und wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben. Vertreten waren alle Verbände der Therapieberufe, insgesamt 17 an der Zahl, sowie Vertreter aller gesetzlichen Krankenkassen. Mehr als ein erstes Beschnuppern war da nicht möglich.

Konkreter wurde es erst, als nur die Physioverbände für ihren Bereich mit den Verhandlungen starten konnten. Am Ende sollte es tatsächlich drei Jahre und über 30 Verhandlungsrunden dauern, für die wiederum über 30 vorbereitende Sitzungen nötig waren…

Dieses Jahr ist uns nun endlich das verfrühte Weihnachtswunder gelungen: Wir konnten uns darauf einigen, mit allen Diagnosen rund um die Schulter in die Blankoverordnung zu starten, seit 1.11.2024 sind entsprechende Verordnungen möglich. Selten habe ich mich so gefreut, eine gute Nachricht zu verkünden – unter anderem an über 8.000 Kolleginnen und Kollegen, die unsere Webinare und Präsenz-Veranstaltungen besucht haben. Und wie viele von Ihnen war auch ich voller Tatendrang, dann endlich loszulegen!

Physiotherapeutische Diagnostik, Therapieplanung – das ist eigentlich nichts Neues, oder? Trotzdem war ich schon ein bisschen aufgeregt, als tatsächlich die erste Patientin mit einer Blankoverordnung vor mir stand. Und wie immer habe ich auch mit Ihr über Ihre Ziele in der Behandlung gesprochen. Gut, dass wir gemeinsam überlegt haben welches Behandlungsziel realistisch ist. Meine grundsätzliche Entscheidung darauf hin, welche Behandlung, wie viel, wie oft und über welchen Zeitraum wir für ihr Problem wohl brauchen werden, war neu. Aber hey: Natürlich kann ich das, schließlich bin ich hier der Bewegungsspezialist und nicht der Arzt oder die Ärztin. Mit der Blankoverordnung wird das endlich auch für alle sichtbar!

In den vielen Jahren, die ich mich jetzt mit der Blankoverordnung auseinandergesetzt habe war mir immer klar: Diese Verordnungsform ist ein Fortschritt, für uns Therapierende und für unsere Patientinnen und Patienten. Das jetzt auch so ganz konkret in der Praxis erleben zu dürfen, ist ein überwältigendes Gefühl. Ich hoffe, Ihnen geht es ganz genauso. Und falls es noch an der ein- oder anderen Stelle ruckelt: Wir sind gerne für Sie da!

Frohe Weihnachten und ein erfolgreiches, gutes und sinnstiftendes neues Jahr!

Ihr Markus Norys

1. Vorsitzender Physio Deutschland, Regionalverband Bayern, stellvertretender Bundesvorsitzender und Sprecher der Verhandlungskommission von Physio Deutschland